Jello Biafra with D.O.A. - "LAST SCREAM OF THE MISSING NEIGHBORS" 1989

Es muss im Frühjahr 1990 gewesen sein, als ich durch die Kreuzberger Gneisenaustraße schlurfte.

Aus der offenen Tür eines kleinen Plattenladens im Kellergeschoß dröhnten geile Gitarren und eine Stimme, welche ich auf dem Times Square raushören würde. Das war unverkennbar Jello Biafra und vor allem – es war ein Song, den ich nicht kannte. Sollte mir bei der zugegebenermaßen nicht idealen Versorgungslage in der Zone eine Veröffentlichung der Kennedys entgangen sein? Der Ladenhüter, ein Althippie komplett in Batikklamotten (der Anblick allein reichte, um ohne Joint durch den Tag zu kommen), hatte wahrscheinlich schon die Cover der ersten Ton Steine Scherben mitgeklebt.

Zumindest konnte er mich beruhigen, ich hatte noch nichts verpasst, bei der Mucke handelte es sich um die Kooperation von Jello Biafra, seines Zeichens Ex-Mastermind und Sänger der Dead Kennedys und der bekanntesten und dienstältesten kanadischen Punkband D.O.A.. Ich kaufte das Teil ohne weiter reinzuhören und ich sollte nicht enttäuscht werden. 6 Titel sind auf der Scheibe, die ersten 4 sind straighte Punkkracher, wie sie im Buche stehen. Eine für damalige Verhältnisse fette Produktion und Jello in Bestform , jeweils in 2.30 durchgerockt. Die Texte wie von DK gewohnt, zynisch und auf den Punkt. Gerade aus der heutigen Perspektive erstaunt die Weitsichtigkeit, ob es in „That´s Progress“ um vermeintlichen Fortschritt geht, in „Attack of the Peacekeepers“ um die friedensbewahrenden Einsätze der NATO oder einfach um die Langeweile der Macht und das nicht zu beneidende Leben von Diktatoren – „Power is boring“!

Die Scheibe holt mit Titel 5, einer Coverversion der Animals aus dem Jahr 65, noch einmal tief Luft um dann mit dem letzten Song wieder voll durchzustarten. „Full Metal Jackoff“ heißt das gute Stück und ist mit 13.56 Minuten keine Sekunde zu lang. Dabei ist es nur auf eine Handvoll Grundtöne aufgebaut aber diese sind in dermaßen geile Riffs gegossen, dass man den erst bei 2.30 einsetzenden Gesang bis dahin gar nicht vermisst hat. Dazu Jellos Stimme dermaßen böse und gemein, dass man den amerikanischen (Alb)Traum praktisch fühlen kann – „Wall Street or Crack Dealer Avenue the last roads left to the American Dream“ – alles drin in zwei Zeilen. Wenn man sich inhaltlich den Song von einem anderen Großen aus Memphis („In the Ghetto") anschaut, dann erkennt man, dass es wahrscheinlich gar nicht so viele Brüche in der Musikgeschichte gibt, wie vielfach behauptet. Dieses Stück Musik verlangt jedenfalls eine Lautstärke, bei der sich die Nachbarn entweder die Umzugskartons oder die Polizei bestellen. Muss man haben!!!

Matze